Licht, Sprache und Spiegel bilden die Grundmotive der installativen Arbeiten, mit denen Brigitte Kowanz den österreichischen Biennale-Pavillon und dessen Umraum bespielt. Sie blendet diese Motive ineinander und schafft damit Raumsituationen und Betrachterperspektiven, in denen Innen und Außen, Architektur und Umfeld einander bespiegeln und zu durchdringen scheinen. Das thematische Zentrum im Inneren des in den Hof eingebauten Raumes bildet eine konzentrisch gespiegelte Lichtschleife mit zwei verschlüsselten Zahlenreihen, die chronologische Eckdaten des Internets beinhalten, nämlich dessen erstmalige Vorstellung im CERN am 12. März 1989 sowie seine weltweite Verfügbarkeit ab 6. August 1991. Diese Daten scheinen in Form des Morsecodes auf, der die erste standardisierte, auf binären Grundeinheiten und Lichtgeschwindigkeit basierte Sprachübertragung repräsentiert und damit auch die Basis aller postanalogen, digitalisierten Kommunikationssysteme wie des Internets bildet. Diese Arbeit vermittelt also eine Art Biografie des World Wide Webs, dessen verschlüsselte Form zugleich seine historische Herkunft und Grundlage offenbart.

In Kowanz’ eigener Werkentwicklung, in der die künstlerische Visualisierung der Immaterialität, Flüchtigkeit und Grenzenlosigkeit des Lichts eine zentrale Rolle spielt, bedeutet die Auseinandersetzung mit dem Internet als lichtbasierter Kommunikationstechnologie zugleich eine Fortsetzung und weitere Präzisierung der Licht- und Sprachbezüge ihres Œuvre. Worin bestehen nun diese Bezüge, und in welchen kunst- und ideengeschichtlichen Kontexten haben sie ihren Ursprung beziehungsweise ihre Ausrichtungen erfahren?

Eine der Ausgangsmotivationen für Kowanz’ Beschäftigung mit Licht und Sprache war das Ungenügen an den Limitierungen neofigurativer Malerei. In den gemeinsam mit Franz Graf in den frühen 1980er-Jahren produzierten Bildern scherte Kowanz aus dem zeitgenössischen malerischen Mainstream aus. Sie thematisierte die Rolle des Bildes und der Malerei in ihrem Verhältnis zum Raum und zur Wahrnehmung. Die sprichwörtliche Auflösung des traditionellen Bild- und Malereibegriffs erfolgte durch Verwendung transparenter Bildträger und selbstleuchtender Farben. Die Bilder waren oft beidseitig bemalt, hingen mitten im Raum und änderten bei unterschiedlicher Beleuchtung und Wahrnehmungsperspektive ihr Aussehen. Es entstand eine changierende, phosphoreszierende und wahrnehmungsrelationale Raummalerei, die auch mit objekthaften und sprachlichen Elementen verknüpft wurde. Ihre luzide Dynamik und geometrisch-kantige Figuration erinnerte abseits kunsthistorischer Allüren an die virtuelle Welt der Video- und Computerspiele als Bestandteile der eigentlichen Lebensrealität und bestimmte die »Malerei als Verfahren, mit Flächen Räume zu erzeugen, die neuartigen Lebensweisen entsprechen«.1

Die Grundlagen für diese Transformation beziehungsweise Überwindung der Malerei bildeten zum einen die traditions- und malereikritische Avantgarde und deren Rezeption durch die Neomoderne der Minimal Art und Concept-Art. Es war also nicht die damals viel zitierte neoromantische Moderne, sondern deren konstruktivistischer und analytisch-sprachbezogener Gegenpart mit seiner Wirkungsgeschichte, die Anknüpfungspunkte boten. In diesem Zusammenhang erschienen die Geometrisierung der Bild- und Werkmotive, die Einbindung von Sprache und Zeichen sowie die Verräumlichung der Bilder und der Übergang zur Installation als konsequente Schritte. In Verbindung mit der avantgardistischen Tradition eröffneten die medienbestimmte Alltagskultur sowie die philosophischen Trends der Phänomenologie und des Poststrukturalismus mit ihren Wahrnehmungs- und Zeichentheorien neue Möglichkeiten, von statischen und hermetischen Bildvorstellungen abzugehen und die aktive Rolle der Betrachter innerhalb einer neuen Kultur beschleunigter Bilder zu akzentuieren.

Das von Paul Virilio Mitte der 1980er-Jahre beschworene Übergangsszenario »von der Ästhetik der Erscheinung eines ›stabilen dauerhaften Bildes‹ zu einer Ästhetik des Verschwindens eines ›instabilen Bildes‹, das nur in seiner (kinematischen und kinomatografischen) Flüchtigkeit gegenwärtig ist« und dessen »einzige Dauer die des Nachbildes auf der Netzhaut ist«,2 war auf die fotografischen und filmischen Bilder bezogen, stellte aber auch Malerei und Objektkunst vor neue Herausforderungen jenseits ausgetretener Pfade.

Die Dominanz des Instabilen zeigte sich auch in der Dekonstruktion paradigmatischer Gewissheiten im zeitgenössischen Philosophieren und in deren selbstreflexivem Vorgehen. Die Tatsache, »daß die Philosophie sich kommentierend zu sich selbst, d. h. zu ihren klassischen Texten verhält«, gründete in der »Einsicht in die volle Dimension der Bedingtheit jedes, auch des auf Wahrheit verschworenen Denkens«,3 oder, anders gesagt, in der Erkenntnis, dass »[je anders] verstanden wird […], nach Maßgabe einer sprachlich erschlossenen Weltansicht, die sich immer neu bildet und an kein zeitlos Letztgeltendes sich anschließen läßt«.4 Ebenso wie Manfred Frank hier die Kausalität zwischen fluktuierendem Wissen und methodischer Selbstreflexion herstellte, verknüpfte auch Jean-François Lyotard seinen Befund vom Ende der großen Meistererzählungen mit seiner Definition von der Philosophie als »Diskurs, dessen Regel darin besteht, seine Regel (und die anderer Diskurse) zu finden«.5

Solche Forderungen spiegeln ein grundlegendes Interesse an den Rahmenbedingungen der eigenen Disziplin, das auch für die Kunst der Neoavantgarde der 1960er- und 1970er-Jahre bezeichnend war. Auch deren medienreflexive Ansätze waren Symptome eines Übergangs und einer daran gekoppelten Selbstvergewisserung und -legitimation. »Medienreflexivität [ist …] eine solche Qualität, […] die sich erst unter den Bedingungen ihres kritischen Verhältnisses zu den traditionellen Gattungsdefinitionen voll entfaltet hat. So kam es in den 60er Jahren zu einer Explosion von Produktionen, die sich von den traditionellen Gattungsdefinitionen losgelöst hatten und im freien Umgang mit den jeweiligen ästhetischen Medien Aspekte an diesen herausbrachten, die zuvor nicht in den Blick gekommen waren.«6 Juliane Rebentisch hat diesen Befund insbesondere auf hybride Formen der Kunst, die mit theatralen, kinematografischen und audiovisuellen Referenzen operieren, sowie auf Installationen angewandt, die »das objektivistische Ideal einer augenblicklichen Erfassbarkeit von Kunst unterlaufen«7 und damit Zeitlichkeit, Bewegung und Veränderlichkeit im Produktions- und Rezeptionsbezug implizieren.

Brigitte Kowanz konzentriert sich in Fortführung der medienreflexiven Tradition auf die Thematisierung von Sichtbarkeit, Wahrnehmung und Bedeutungsproduktion – das heißt auf die denkbar grundlegendsten Parameter der Kunst – durch luminare und sprachbezogene Arbeiten. Sie verwendet für ihre raumbezogenen und bildüberschreitenden Arbeiten Licht und Sprache als Werkmaterialien, um deren je spezifische Eigenschaften und Funktionsweisen mit zu thematisieren.

Von der Verwendung farbgefüllter oder leerer Flaschen als Lichtquellen oder Projektionskörper über ihrerseits beleuchtete Luster oder über Strahler, die durch Spiegelmechanismen ihr eigenes Inneres nach außen projizieren, bis hin zu sandgestrahlten Glaskörpern mit vorgeblendeten Lichtquellen, die in reale Räume imaginäre Licht-Schattenräume einschreiben, schuf Kowanz bereits in den 1980er- und 1990er-Jahren ein breites Spektrum lichtbestimmter Werke, die mit ihren Formen und Apparaturen immer auch das Licht selbst als wahrnehmbaren Sichtbarkeitsgaranten in den Fokus rücken.

Die nun auf der Biennale entworfene Raum-, Licht- und Sprachchoreografie besitzt ihre Vorläufer beispielsweise in jenen in den 1990er-Jahren entstandenen, von sandgestrahlten Licht- und Glasinstallationen bestimmten Räumen, in denen auch bereits Spiegelelemente verwendet wurden. Schon dort wurden das Ungreifbare und Imaginäre als real erfahrbare Strukturen eingesetzt, oder es wurde auch dem Begriff des Lichts (Lux, 1998) in Gestalt von Morsezeichen ein Selbstporträt verschafft. Es entstanden dabei räumliche Szenarien, in denen Reales und Virtuelles einander überschreiben und ineinanderfließen, um Wahrnehmungsprozesse zu intensivieren und explizit erfahrbar zu machen. Weder eine Metaphysik des Lichts noch ein auratisches und geheimnisvolles Verdämmern oder Aufleuchten wurde hier betrieben, sondern mit der physikalischen Kausalität zwischen Lichtquelle und Projektion wurde die Relationalität von realem und imaginärem Raum sowie deren Verhältnis zum Betrachter transparent gemacht. An die Stelle einer essentialistischen Raum- und Körperidentität trat die Erfahrung eines hybriden, destabilisierten, in seinen Koordinaten unterwanderten Raumes, mit einem Betrachter, der sich angesichts

der ihn umgebenden Unschärfen und Übergänge selbst als kontingentes Subjekt erfahren konnte. Kontingenz in Form unterschiedlicher Aggregatzustände zeichnet auch das Glas und seine Materialität aus, das im Grunde aus einer flüssigen und ausgehärteten Masse besteht, die nie ganz zur Ruhe kommt. Das Fluten und Fließen des Lichts besitzt in seinen unterschiedlichen gläsernen Fassungen einen kongenialen Transmitter.

Visualisiert Kowanz anfangs in wortloser Form das Licht, so geht sie in weiterer Folge dazu über, auch Sprache und Zahlen in luminaren Szenarien einzusetzen. Eine Form der Versprachlichung des Lichts im Sinne der Darstellung seiner Maßstäblichkeit für die Sichtbarkeit verkörpern jene Arbeiten, welche die Lichtgeschwindigkeit zum Inhalt haben. Es sind lineare und skalierte Objekte, mit deren Länge zugleich die Zeit beziffert wird, die das Licht zum Durchqueren der gegebenen Strecke benötigt. Solche Arbeiten bannen das Unvorstellbare und Unbetrachtbare in anschauliche und präzise Formen.

Licht nicht einfach zu benutzen, sondern sprachlich zu beleuchten und dabei zugleich die Sprache einer Selbstbelichtung zuzuführen, gelingt der Künstlerin durch die Darstellung des einen im jeweils anderen. Dabei kann sie von Analogien zwischen Licht und Sprache ausgehen, die nicht nur deren ephemeren Charakter oder ihre immateriell-ungreifbare »Natur« betreffen, sondern insbesondere deren vergleichbare Rolle im Wahrnehmungs- und Bezeichnungsprozess. Denn wie das Licht auf die Dinge fällt und dabei selbst leicht aus dem Blick gerät, so überschatten auch die Begriffe das damit Begriffene und verführen dazu, sie für das zu halten, was sie bloß markieren und bezeichnen. Kowanz’ Arbeiten umreißen den Versuch, diesen Kreislauf des Verinnerlichens, Vergessens und Verwechselns in den Wahrnehmungs- und Erkenntnisprozessen zu durchbrechen beziehungsweise bewusst erfahrbar zu machen, also an das Verinnerlichen zu erinnern.

Lichtbesprechung und Sprachbeleuchtung verleihen in ihrer Synchronität dem Immateriellen und Intelligiblen Form und Sichtbarkeit. Mit Licht und Sprache nicht einfach anderes sichtbar und erkennbar zu machen, sondern es selbst in die Sichtbarkeit und ins Bewusstsein zu wenden, bestimmt das Werk zu einer Art Abbildungsfalle für das gewöhnlich Übersehene. Vorbilder für solche Fallensysteme finden sich in der konkreten oder visuellen Poesie, in der Textform und Textbedeutung konvergieren beziehungsweise zur Deckung gebracht werden – wo also die Sprache visuell auch »tut«, was sie sinngemäß meint. Ein signifikantes Beispiel dafür ist die Arbeit mit dem Titel Licht ist was man sieht (1994), die in unterschiedlichen Landessprachen, Sprachsystemen und Materialien existiert. Das sich selbst beschreibende Licht benennt hier zugleich den Wahrnehmungsakt. Man bekommt gesagt und gezeigt, was man sieht. Das Werk, das sich auf sich selbst bezieht und sich selbst beschreibt, benennt also zugleich die Rolle und Existenz seines Betrachters. Es verflüchtigt sich nicht im Licht, wird nicht einfach darin sichtbar, sondern hält unablässig seine eigene Leuchtkraft und deren Wahrnehmbarkeit als »Botschaft« vor Augen. Es simuliert einen semantischen Kurzschluss, der in Wahrheit erkenntniskritischen Zündstoff enthält. Die Stecker und Kabel sind sowohl inhaltlich-funktionale wie auch formale Bestandteile des Werks, die dessen Außenweltbezug bestätigen. Auch dass sich der sichtbare Fluss der Worte dem Fließen des elektrischen Stroms und damit einer externen Energiequelle verdankt, erscheint in diesem Zusammenhang von Bedeutung. Da diese Arbeit in verschiedenen Sprachen und Formen existiert, handelt sie auch von der Kontextualität jeglichen Textes.

Mit der Rezeption der konkreten und visuellen Poesie schließt Kowanz nicht nur an eine literarische Tradition an, sondern auch an eine kunstgeschichtliche Entwicklung seit der Moderne, in der die »Ikonisierung der Sprache« und die »Lingualisierung der Kunst«8 ineinandergreifen. Beginnend in den Collagen des Kubismus, Surrealismus und des Dadaismus mit seinen Lautgedichten über die Typografie des Konstruktivismus wird dies vor allem in der sprachzentrierten Konzeptkunst, in welcher der Diskurs über Kunst selbst als Kunst aufscheinen kann, sowie in der konkreten Poesie, jenseits des rein Literarischen, sichtbar. Im österreichischen Kontext steht insbesondere Heinz Gappmayr für diese Tradition, und zwar sowohl als Künstler wie auch als Theoretiker: »An den Zeichen unterscheiden wir einerseits ihre empirische Wahrnehmbarkeit, andererseits ihre Begrifflichkeit. Das geschriebene Wort ist ja nichts anderes als eine Reihe von geraden und gekurvten Linien auf einer bestimmten Fläche, in einem bestimmten Raum. […] Diese Ambivalenz wird in der konkreten Poesie sichtbar. […] In der konkreten Poesie erscheint – paradox gesagt – die Identität und zugleich die Differenz von Zeichen und Begriff […].«9 Die von Gappmayr festgehaltene Gleichzeitigkeit der Identität und Differenz von Begriffserscheinung und Begriffsbedeutung, die gerade durch die poetische Engführung von Begriff und Begriffenem erkennbar wird, verwickelte die Sprache in eine Autoreflexion, die in der strukturalistischen und poststrukturalistischen Linguistik beziehungsweise in den Arbeiten der Wiener Gruppe sowie Peter Weibels eine gesellschafts- und machtanalytische Ausrichtung erfuhr. Weibel konnte sich in seiner Aufforderung, anstatt der Beziehung der Wörter zueinander das Verhältnis von Sprache und Gesellschaft zum Thema der Kunst zu machen, auf Oswald Wiener berufen, der die Aufgabe der Wiener Gruppe unter anderem darin gesehen hatte, »dass wir […] nicht nur am verhältnis der worte in bestimmten sprachsituationen interessiert [waren], sondern auch an der steuerung konkreter situationen durch den sprachgebrauch«.10

Kowanz übersetzt die Tradition der konkreten Poesie ins Luminar-Bildhafte, Objekthafte und Installative. Sie steuert mittels Sprache und Licht die Wahrnehmung auf die konkreten Wahrnehmungsbedingungen hin und bedient sich dazu noch des Spiegels. Auch der ist – buchstäblich und sinnbildlich – ein Medium der Reflexion, das der Sichtbarkeit und dem Erkennen dient und dabei selbst dem Blick und Bewusstsein zu entschwinden trachtet. Betrachtet man sich im Spiegel, verliert man ihn gewöhnlich aus den Augen, konzentriert man sich aber auf ihn selbst, droht einem das eigene Bild und der Blick in die eigenen Augen, auf das eigene Sehen zu entgleiten.

Die wechselseitige Erhellung von Sprache und Licht findet im Medium des Spiegels eine Möglichkeit der Potenzierung, da aus der Zweierbeziehung ein Dreiecksverhältnis mit neuen Perspektiven entsteht. Die Flüchtigkeit und Immaterialität des Lichts und der Sprache können im Spiegel zur Abbildung gelangen und diesem dabei zur Selbstabbildung verhelfen. Er wird in seiner Selbstbespiegelung zur Abbildungsfalle für die Wahrnehmung, indem er die Möglichkeit schafft, das eigene Sehen, den eigenen Körper wie von außen in den Blick zu bekommen, also jenen blinden Fleck, der die Selbstwahrnehmung und die Wahrnehmungswahrnehmung unterbindet, zu korrigieren. Der gespiegelte Spiegel vermag aber nicht nur diesen Mangel zu beheben, sondern kann auch ein geradezu überschäumend redundantes Bild der Wirklichkeit entwerfen, denn die Vorstellung des Unendlichen und Grenzenlosen lässt sich mit den sich bespiegelnden Spiegeln faktisch visualisieren. Die Spiegel ermöglichen mit den scheinhaften, räumlich-architektonischen Erweiterungen auch die visuelle Entgrenzung der konkreten Poesie beziehungsweise die poetische Visualisierung des Grenzenlosen. Sie entzünden ein wahres Feuerwerk von Wechselspielen, um nicht zuletzt der Rolle des Betrachters und der Wahrnehmung selbst ein Spiegelbild zu verschaffen.

Der Blick in den Spiegel – im bezeichnenderweise doppeldeutig als Light Space apostrophierten Raum der Biennale mit den sich ins Unendliche fortspiegelnden Morseschleifen über die Eckdaten des Internets – erinnert an die Ortlosigkeit des Subjekts in der telematischen Gesellschaft und verweist darauf, dass sich das euklidische Welt- und Raumbild unter den Bedingungen der Mediatisierung und der Virtualisierung von Realität aufgelöst hat. Mit dem Fluidum telematischer Welten hat sich die Künstlerin auch schon in früheren Arbeiten befasst. So handeln beispielsweise Another Time (2003) oder Another Place (2003) als spiegelnde Lichtschriften von dynamischen, dekonstruierten Zeit- und Ortsbestimmungen. Sie schreiben auch die für die frühen Malereien charakteristische Verknüpfung von Beleuchtungswechsel und veränderlicher Werkerfahrung fort und um, indem sie verdeutlichen, dass die Bilderscheinung immer auch eine Funktion der Blickperspektive und des damit verbundenen wechselnden Lichteinfalls ist. Man nimmt mit dem sich verändernden Bildfeld das eigene Sehen als perspektivischen wie auch perspektivierenden Akt beziehungsweise als Interpretationsgeschehen wahr, dessen Ergebnisse immer und unausweichlich vorläufig und ortsabhängig sind.

Auf die »Interpenetration«11 von realem und virtuellem Raum verweist auch die Arbeit mit dem Titel Wir schwimmen in der Linie und tauchen sporadisch ins Mosaik (2002), die einen Satz des Medientheoretikers Vilém Flusser als mosaikartiges Patchwork aus Morsezeichen zitiert. Das Werk handelt von der Medienrealität und deren Einfluss auf unser Verhalten. Kowanz visualisiert den Inhalt des Satzes, indem sie dessen Linearität in ein mosaikartiges All-Over verwebt, in das der Blick unwillkürlich eintaucht, ohne dauerhaft darin verweilen zu können – als ob man sich sporadisch durch die virtuelle Bild- und Informationswelt zappen und sein Verhalten deren flackernder Unruhe anpassen würde.

Die hier bereits anklingende Vorstellung vom Internet als maritimem Ort, als »Ozean der Möglichkeiten« oder als »flüssigem Datenmeer«, auf dem man »surfen« und in das man »eintauchen« kann, stellt – neben seiner verkehrstechnischen Apostrophierung als Datenautobahn oder Daten- highway in einer mediatisierten Hochgeschwindigkeitsgesellschaft – jene zentrale sprachliche Metaphorisierung dar, die sich geschichtlich aus der Gegenüberstellung von Festland und Meer herleitet: »Während das Land – als das dem Menschen gemäße Element – als Sphäre des Realen gelten konnte, war das Meer gleichbedeutend mit dem Unbekannten, dem nur der Möglichkeit nach Vorhandenem. Die Neugier auf dieses Fremde und Unbekannte war der Antrieb, um sich aus der vertrauten Welt in die neue zu wagen. Mit jeder Expedition und mit jeder Entdeckungsreise nahm jedoch der Vorrat des ehemals Undurchdringlichen und Unerklärlichen, des Fremden und Geheimnisvollen ab […]. Die Frage […] ist, ob sich in der […] Entwicklung des Internet dieser Vorgang nicht wiederholt. […] Der strikte Gegensatz zwischen real und virtuell scheint damit ebenso zu verschwinden wie schon zuvor der zwischen Land und Meer.«12 An einem Ort wie Venedig, wo die Landgewinnung beziehungsweise die Urbanisierung des Meeres omnipräsentes Spektakel ist, gewinnt dieser allgemeine Vergleich eine lokalspezifische Note, die auch in Kowanz’ loop- und wellenartiger  Leuchtschrift mitschwingt.

Ihre spiegelbildliche Visualisierung des Internets – nahe am Wasser der Lagunenstadt – entwirft einen unendlich und grenzenlos erscheinenden Raum. Es ist ein in den realen Raum eingeschriebener virtueller  Raum, der die Wahrnehmung der vorgegebenen Raumverhältnisse verändert und erweitert. Diese Erfahrung der raumgenerierenden und -modulierenden Eigenbewegung vor der Spiegelarbeit kann als Verweis auf die Userfunktion verstanden werden: »Die entscheidende Erfahrung, die jeder Nutzer im Netz machen kann, ist die, dass Räume durch seine Aktivitäten entstehen und durch mangelnde Aktivität auch wieder verschwinden können. […] Die Entwicklung des Internet trägt mit dazu bei, Raum nicht mehr länger als gegebene Konstante zu verstehen, als Behälter oder Rahmen, in dem sich Soziales abspielt, sondern als durch soziale Praktiken erst Erzeugtes aufzufassen und damit von Räumen auszugehen, die es nicht immer schon gibt, sondern die erst durch Handlungen und Kommunikation hervorgebracht werden.«13 So gesehen reflektiert Kowanz’ Arbeit die dem Internet inhärenten Mechanismen und beinhaltet ihr Porträt des Webs nicht nur in verschlüsselter Form dessen historische Eckdaten, sondern in spiegelbildlich-metaphorischer Erscheinung auch dessen Raumideologie. Zu dieser gehört mit dem Zugriff auf immer mehr Informationen und Vernetzungen aber auch der zunehmende Kontrollverlust über eigene Daten und deren Verwendung. Als ob der in die Unendlichkeit und ins Bodenlose entschwindende Spiegelraum, der dem Blick die Kontrolle über fixe Raumkoordinaten entzieht, zum Verweis eines netzbedingten Entzugs von Eigenkoordination und Selbstbestimmung würde.

Die Bedeutung der Spiegelung und des Spiegelbildlichen weitet Kowanz in ihrer Biennale-Arbeit auch auf das Verhältnis von Innen- und Außenraum aus. Die von ihr vorgenommene partielle Verspiegelung der Außenwände bedingt nicht nur eine visuelle Entgrenzung des Außenraumes, sondern auch dessen scheinbares Eindringen in das Innere des Gebäudes, wie um die Ambivalenz des Begriffs Light Space auf das räumliche Gesamtszenario auszudehnen. Wie im Inneren mit der flüchtig-leichten Lichtschrift, die der Spiegel gleichsam fortträgt, wird auch draußen der Raum »leicht«, verliert er seine physische und materielle Bestimmtheit und Schwere.

Was sich von der Spiegelarbeit über das Internet im Inneren sagen lässt, kann auch für den verspiegelten Außenraum in Anspruch genommen werden: »[…] es existieren eben nicht nur reale und virtuelle Räume nebeneinander, sondern auch innerhalb dieser Räume existieren jeweils zahlreiche andere nebeneinander, die die Grenze von virtuell und real in vielfältiger Weise überlagern. Wir haben es mit hybriden Räumen zu tun, mit solchen, die sich immer weniger eindeutig auseinanderhalten lassen, weil sie zunehmend ineinander übergehen, die zwar über Grenzen verfügen, welche sich aber permanent auflösen, um an anderer Stelle neu errichtet zu werden – vagabundierende Grenzen, die nicht mehr an einem Ort unverrückbar vorzufinden sind.«14 Damit stellt die Außenarbeit auch ein erweitertes Porträt der Installation im Inneren dar, spiegelt sich also in der Gestaltung der Außenfassade auch die im Inneren angezeigte Raum- und Wahrnehmungsthematik. Die im Zuge des medienreflexiven Ansatzes einmal an den Werken initiierte Autoreflexion scheint wie die sich unendlich fortspiegelnden Räume in einer Art unaufhaltsamer Kettenreaktion in die Selbstreflexion der Wahrnehmung zu münden.

In den unendlichen Weiten der Spiegelbilder und -räume vervielfachen sich auch die Betrachter. So wie die anderen bekommt man sich auch selbst von außen in den Blick, erkennt sich als einen unter vielen mit erhellender Einsicht: »[…] sich mit den Augen anderer zu sehen, die Haltung des Zuschauers gegenüber sich selbst einzunehmen, ist aber nichts anderes als eine Form der Distanznahme zu sich selbst, Voraussetzung von Selbstreflexion. Zu sich selbst die Haltung des Zuschauers einzunehmen bedeutet, sich selbst eine Rolle spielen zu sehen, bedeutet mithin, diese nicht als natürliche Gegebenheit, sondern als Produkt einer eigenen subjektiven Hervorbringung zu begreifen. Eine solche Distanzierungsfähigkeit impliziert mit anderen Worten Performanzbewußtsein.«15 Die hier von Juliane Rebentisch im Zusammenhang mit ihrer »Ästhetik der Installation« erörterte  Selbstreflexion erfährt in der Kognitionstheorie von Wolfgang Prinz noch eine weitere Differenzierung, indem der Spiegelbegriff auch metaphorisch eingesetzt wird: »In Zusammenhang mit der Selbsterkenntnis und der Selbstreflexion begegnet man auch einer metaphorischen Verwendung […], die sich auf soziale und nicht auf physische Spiegel bezieht. Die anderen dienen dem Selbst als Spiegel. Personen können dadurch zu einem Selbstverständnis gelangen, daß sie sich selbst (und ihre Handlungen) in anderen Personen (und deren Handlungen) widerspiegeln – das heißt, indem sie zu verstehen lernen, wie ihr Verhalten von anderen wahrgenommen, verstanden und bewertet wird.«16 Dass die Selbstwahrnehmung im Spiegel als einem Fremden unter Fremden zur Selbsterkenntnis führen kann, hat auch Vilém Flusser auf den Punkt gebracht: »Im Spiegel objektiviert sich das Subjekt, kommt als Objekt außer sich, um  wieder zu sich zu kommen. Der Spiegel ist also ein dialektisches Werkzeug: Er verfremdet, um die Verfremdung zu überwinden […].«17

Diese erkenntnisstiftende Funktion aktiviert Kowanz, indem sie dem Spiegel durch Selbstbespiegelung jene Falle baut, in der die Wahrnehmung selbst wahrnehmbar wird. Gerade durch unendliche Verdichtung und Verschachtelung von Licht, Sprache und Spiegel schafft Kowanz jene Distanz für den Betrachter, die ihm Klarheit über die eigene Rolle im Wahrnehmungs- und Interpretationsgeschehen verschaffen kann und die zentralen Parameter dieser Kunst vor Augen führt: Präzision und Entgrenzung, punktgenaue Definition und reflexive Offenheit als einander bedingende, relativierende und interpretierende Kriterien.

 

1 Robert Fleck, »Dem Videotod zu entkommen, sich zu neuem Leben zu erlösen – Die psychisch-biogenetische Historienmalerei von Brigitte Kowanz und Franz Graf«, in: Brigitte Kowanz / Franz Graf, Ausst.-Kat. Galerie nächst St. Stephan, Wien; Galerie Thaddäus J. Ropac, Salzburg, Wien 1983, S. 50–55.

2 Paul Virilio, »Die Auflösung des Stadtbildes« (1984), in: Jörg Dünne und Stephan Günzel (Hrsg.), Raumtheorie. Grundlagentexte aus Philosophie und Kulturwissenschaften, Frankfurt am Main 2006, S.  261–273.

3 Manfred Frank, in: Florian Rötzer (Hrsg.), Denken, das an der Zeit ist, Frankfurt am Main 1987, S. 110.

4 Ebd.

5 Jean-François Lyotard, Grabmal des Intellektuellen, Graz und Wien 1985,

73 (erstmals erschienen in: Le monde, 8. Oktober 1983).

6 Juliane Rebentisch, Ästhetik der Installation, Frankfurt am Main 2003, S. 81.

7 Ebd.

8 Wolfgang Max Faust, Bilder werden Worte. Zum Verhältnis von bildender Kunst und Literatur. Vom Kubismus bis zur Gegenwart, Köln 1987, S. 10.

9 Heinz Gappmayr, »Die Poesie des Konkreten« (1965), in: Opus – Heinz Gappmayr. Gesamtverzeichnis der visuellen und theoretischen Texte 1961–1990, Mainz 1993, S. 44 f.

10 Hier zit. nach Peter Weibel, »Kontext- Theorie der Kunst«, in: ders., Kritik der Kunst – Kunst der Kritik, München und Wien 1973, S. 65–69, hier S. 69.

11 Markus Schroer, Räume, Orte, Grenzen. Auf dem Weg zu einer Soziologie des Raums, Frankfurt am Main 2006,S. 253.

12 Ebd.

13 Ebd., S. 275.

14 Ebd., S. 274.

15 Rebentisch 2003 (wie Anm. 6), S. 69. Rebentisch erörtert darin die »Theatralisierung« des Betrachters, die Michael Fried in Fortführung der rousseauschen Kritik am Schauspielerischen und in seiner eigenen Kritik am Wahrnehmungsbegriff der Minimal Art noch als Selbstentfremdung attackierte. Sie bestimmt sie, im Gegensatz zu Fried, »auch als eine Figur ästhetischer Selbstreflexion« (S. 70).

16 Wolfgang Prinz, Selbst im Spiegel. Die soziale Konstruktion von Subjektivität, Berlin 2016, S. 91 f.

17 Vilém Flusser, »Minkoffs Spiegel«, in: ders., Lob der Oberflächlichkeit. Für eine Phänomenologie der Medien (Schriften, Bd. 1), hrsg. von Stefan Bollmann und Edith Flusser, 2. durch- ges. Aufl., Mannheim u. a. 1995, S. 227–232, hier S. 227.